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Koalitionsverhandlungen „Die AfD ist eine organisierte Gefahr für die Demokratie“

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Vertreter*innen der CDU, CSU und SPD nach dem Abschluss der Sondierungsgespräche. (Quelle: picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Hunderttausende gingen in den Monaten vor dieser Bundestagswahl auf die Straße – nicht gegen eine Partei, nicht gegen Friedrich Merz, sondern gegen eine politische Strategie, die den Schulterschluss mit einer rechtsextremen AfD nicht mehr ausschließt. Sie demonstrierten, weil sie sich Sorgen um die Demokratie in Deutschland machen – nicht, weil sie dafür Staatsgelder erhalten oder ein angeblicher „Schattenstaat“ aus Nichtregierungsorganisationen ihnen vorschreibt, was zu tun ist. Ihr Signal ist klar: keine Kooperation mit Rechtsextremen oder die Übernahme ihrer Inhalte. Ist diese Botschaft bei der Union und der SPD angekommen?

Die aktuellen Koalitionsverhandlungen sind der Zeitpunkt, um entscheidende Weichen zu stellen – nicht für Symbolpolitik, sondern für echten Schutz der Demokratie. Der Koalitionsvertrag sollte eine Vision für gesellschaftlichen Zusammenhalt vermitteln und eine unmissverständliche Botschaft senden: Diese Regierung wird Freiheit, Demokratie und den Rechtsstaat verteidigen – nicht nur nach außen, sondern ebenso gegen Bedrohungen im Inneren.

Sicherheit heißt, demokratische Institutionen zu schützen

Die AfD und ihr Umfeld sind längst mehr als nur eine Partei – sie stellen eine organisierte Bedrohung für die Demokratie dar. Sie nutzt gezielt die Instrumente der parlamentarischen Demokratie, um Einfluss zu gewinnen und letztlich deren Abschaffung herbeizuführen. Die neue Bundesregierung muss deshalb entschlossen handeln: rechtsextreme Netzwerke offenlegen, Finanzierungsquellen kappen, Parteiverbotsoptionen prüfen. Die Demokratie darf nicht weiter tatenlos zusehen.

Engagierte Kommunalpolitik, Lehrkräfte, Ehrenamtliche in Sportvereinen – sie sind die wichtigste Verteidigungslinie gegen Demokratiefeinde und zugleich die ersten, die von der AfD und ihren Helfershelfern bedroht werden. Doch sie werden oft allein gelassen. Schutzmaßnahmen für diese Menschen müssen oberste Priorität haben: konsequente Strafverfolgung von Bedrohungen, klare Regelungen in Gemeindeverordnungen gegen Einschüchterungen und stärkere Unterstützung für gefährdete Akteure. Auch Justiz und Sicherheitsbehörden müssen auf die wachsende Bedrohungslage vorbereitet sein – nicht durch bloße Gesetzesverschärfungen, sondern durch eine konsequente Anwendung bestehender Gesetze.

Gemeindezentren, Stadtteiltreffs, Jugendclubs – sie sind Orte des Zusammenhalts und zugleich Angriffsziele rechtsextremer Strukturen. Die neue Regierung muss sie schützen und ausbauen, besonders in ländlichen Regionen, wo rechtsextreme Netzwerke soziale Lücken bewusst ausnutzen.

Wiederkehrende Anschläge zeigen: Die Extremismus-Kategorien greifen zu kurz

Immer wieder erschüttern schreckliche Anschläge das Land – Angriffe, die nicht immer eindeutig dem Rechtsextremismus oder Islamismus zugeordnet werden können, sondern aus einer Mischung von Hass, digitalen Radikalisierungsprozessen und Verschwörungserzählungen entstehen. Dabei spielen antisemitische Narrative eine zentrale Rolle, in denen angebliche „Strippenzieher“ die Gesellschaft kontrollieren sollen. Das Resultat ist ein gefährliches Feindbild, in dem neben Jüd*innen auch Frauen, Muslim*innen, queere Menschen, Geflüchtete, politische Gegner*innen und Medienschaffende als Feinde konstruiert werden.

Daher muss die nationale Strategie gegen Antisemitismus gestärkt und konsequent umgesetzt werden. Zugleich sind die bestehenden Demokratieprogramme zur Prävention von religiös motivierter Radikalisierung finanziell auszubauen. Hochschulen, Kunst und Kultur müssen sich intensiver mit Antisemitismus und Israelhass auseinandersetzen, ohne dabei die Freiheit der Kunst einzuschränken. Die Bundesregierung darf nicht länger Anschläge isoliert betrachten, sondern muss ideologische Netzwerke und digitale Radikalisierungsräume konsequent in den Blick nehmen.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht durch klare Kante – und soziale Sicherheit

Hetze wird systematisch produziert: auf TikTok, in Telegram-Gruppen, in Kommentarspalten. Plattformen müssen in die Verantwortung genommen werden. Der „Digital Services Act“ gibt den rechtlichen Rahmen vor – jetzt muss er konsequent angewendet werden. Wer Hass und Desinformation duldet, muss Konsequenzen spüren.

Doch gesellschaftlicher Zusammenhalt bedeutet mehr als nur die Bekämpfung von Hetze. Er entsteht, wenn Menschen sich in ihrem Land sicher fühlen – nicht nur vor Bedrohungen, sondern auch wirtschaftlich und sozial. Wer Sicherheit will, muss Zugehörigkeit schaffen. Integration ist keine Bedrohung, sondern die beste Strategie gegen gesellschaftliche Spannungen. Sprachkurse, schnellere Anerkennung von Abschlüssen, bessere Zugänge zum Arbeitsmarkt – wer hier investiert, investiert in die Stabilität dieses Landes und verringert das Risiko gesellschaftlicher Radikalisierung.

Doch auch für viele, die schon lange hier leben, wächst die Unsicherheit. Menschen verlieren das Vertrauen in die Politik, weil sie den Eindruck haben, dass ihre Lebensrealität keine Rolle spielt. Eine demokratische Regierung muss sich dieser Kritik stellen und Antworten liefern – nicht durch autoritäre Versprechen, sondern durch greifbare Verbesserungen im Alltag.

Jetzt entscheiden die Koalitionsparteien, wem dieses Land gehört

Ein Koalitionsvertrag ist mehr als eine Liste von Maßnahmen. Er ist eine Erzählung über dieses Land – und darüber, was es sein soll. Deshalb darf er nicht auf die im Wahlkampf geschürten rassistischen Narrative hereinfallen, sondern muss sie bewusst brechen. Wer weiter von „Belastung durch Migration“ spricht oder suggeriert, dass Einbürgerung ein Sicherheitsrisiko sei, übernimmt genau die Erzählungen, die Rechtsextreme seit Jahren verbreiten. Dabei geht es längst nicht mehr um konkrete Maßnahmen, sondern um eine politische Strategie: Migration als Bedrohung darzustellen, um gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben.

Der Koalitionsvertrag muss stattdessen klarmachen, dass Einwanderung und Vielfalt nicht nur Teil der Lösung sind – sondern dass sich diese Regierung aktiv gegen Rassismus stellt. Das aktuelle Lagebild Rassismus der Bundes-Antirassismusbeauftragten zeigt, wie tief rassistische Diskriminierung in Deutschland verankert ist – in Behörden, auf dem Wohnungsmarkt, im Gesundheitswesen und in der Arbeitswelt. Es reicht nicht, nur über Integration zu sprechen, ohne gleichzeitig die strukturellen Hürden zu benennen, die Menschen mit Migrationsgeschichte erleben.

Wenn die Koalitionsparteien Vertrauen zurückgewinnen wollen, braucht es Klarheit, Selbstkritik und den Mut, Rassismus in allen gesellschaftlichen Bereichen offensiv zu bekämpfen. Arbeit gegen Rassismus darf keine Randnotiz sein – er muss sich als Querschnittsaufgabe durch die gesamte Regierungsstrategie ziehen.

Diese Koalitionsverhandlungen sind eine Richtungsentscheidung: Will diese Regierung für Demokratie kämpfen? Viele Menschen haben gezeigt, dass sie bereit sind, für ihre Demokratie, gegen alte und neue Nazis auf die Straße zu gehen. Die Frage ist nur, wann die Politik endlich mitzieht.

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