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Keine Beweise Prozess gegen Lothar König ausgesetzt

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Lothar König 2013 bei den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Dresden (Quelle: ngn/Robert Damrau)

Und immer wieder die Formel von den „sächsischen Verhältnissen“: Sei es nun der Skandalprozess gegen Tim H., die Affäre um die massenhafte Auswertung von Handydaten oder eben das Verfahren gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König – die Frage um die politische Objektivität von Polizei und Justiz im Freistaat stellt sich immer wieder. Und das umso mehr, betrachtet man, was zur Aussetzung des Prozesses gegen König geführt hat.

Noch einmal zur Erinnerung: Seit Anfang April läuft das Verfahren gegen den Jugendpfarrer, der Vorwurf lautet auf schweren, aufwieglerischen Landfriedensbruch. Am 19. Februar 2011 soll König bei den jährlichen Gegenprotesten gegen die Nazi-Demo in Dresden zu Gewalt gegen die Polizei aufgerufen haben. Wie jedes Jahr begleitete König Jugendliche der Jungen Gemeinde Jena in seinem blauen VW-Bus – die Gewaltaufrufe sollen per Lautsprecher von diesem Bus aus erfolgt sein.

Schon vor dem Prozess schienen die Vorwürfe absurd, im Verfahren wurde immer deutlicher, dass die Anklage auf tönernen Füßen steht. So zeigte etwa Königs Verteidiger  Johannes Eisenberg dem Gericht Aufnahmen, die vom Dach des Kleinbusses gemacht wurden. Sie zeigen mitnichten, dass König zur Gewalt aufrief, sondern vielmehr, wie zwei Polizeibeamte überaus brutal auf einen Anti-Nazi-Demonstranten einschlagen – gegen die beiden wird seither wegen „Körperverletzung im Amt“ ermittelt.

Unterstützung für König

Schon in der vergangenen Woche forderten kirchliche Initiativen gemeinsam mit Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen König. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) haben eine Postkarteninitiative gestartet, mit der die Staatsanwaltschaft Dresden zur Einstellung des Strafverfahrens aufgefordert wird.

Ein deutliches Zeichen der Solidarität für König waren auch die beiden Auszeichnungen, die König im Juni erhielt: So gab das Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit bekannt, dass König den erstmals vergebenen „Thüringer Demokratiepreis“ bekommt. Außerdem wurde er mit dem „12. Jenaer Preis für Zivilcourage“ geehrt.

Ein vollkommen neues Bild

Zurück zum Prozess, der nun ausgesetzt wird. Was ist passiert? Ein wesentlicher Beweis der Anklage ist ein Videozusammenschnitt, den die Ermittler zusammengetragen und der Akte beigelegt haben. Erst am vorherigen Verhandlungstag hatte ein Polizist ausgesagt, dass dieser Zusammenschnitt auf etwa 200 Stunden Rohmaterial beruht – von dem die Verteidigung nichts wusste, da es sich eben nicht bei den Akten befand. Sie forderte dieses Material nun an. Das Bild, das sich daraus ergibt ist ein ganz anderes: In dem Video ist zu sehen, dass eine nicht identifizierte Frau dazu aufruft, Ketten gegen die Polizei zu bilden. Kurze Zeit später gibt es Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstrierenden. Genau jener Aufruf soll aber von Lothar König stammen. Doch wie das Videomaterial vom Dach des VW-Busses zeigt, sitzt dieser zu jenem Zeitpunkt am Steuer, während sich das Fahrzeug inmitten der Demonstrierenden befindet. Laut „Spiegel Online“ ruft König: „Da hinten gibt es eine Auseinandersetzung der Polizei mit Demonstranten. Es werden Schlagstöcke, Knüppel eingesetzt, da muss man ein bisschen aufpassen!“

Ein Zusammenhang zwischen Königs Durchsage und der Eskalation besteht nicht: Während sich Königs Aussage auf die Menschenmenge hinter dem Bus bezieht, macht die unbekannte Frau ihre Ansage an die Demonstrierenden vor dem Fahrzeug.

Wird das Verfahren neu aufgerollt?

Die Diskrepanz zwischen dem Zusammenschnitt und dem Rohmaterial hat die Anklage gegen König erheblich ins Wanken gebracht – so sah es nicht nur der Vorsitzende Richter, der den Prozess auf Antrag der Verteidigung aussetzte, sondern auch die Staatsanwältin, die sich nach einem Blick auf das Videomaterial dem Antrag der Verteidigung anschloss.

Eine Aussetzung bedeutet aber mitnichten, dass das Verfahren eingestellt wird – im Gegenteil: Eine Pressemitteilung des Amtsgerichts Dresden, die nach der Aussetzung veröffentlicht wurde, klingt eher so, als solle der Prozess um jeden Preis neu gestartet werden. So heißt es darin: „Dies bedeutet den Abbruch der Verhandlung und hat voraussichtlich zur Folge, dass der Prozess erst in einigen Monaten neu beginnen wird. Der genaue Termin wird mit einer weiteren Medienmitteilung bekannt gegeben werden.“ Derzeit ist allerdings noch vollkommen offen, wie es weitergeht.

Wenn die Polizei Spielberg spielt

Als sei der Prozess gegen König nicht schon Farce genug, ist das Vorgehen um das entlastende Video-Rohmaterial ein weiterer Mosaikstein, der sich zum Bild des merkwürdigen Rechtsverständnisses in Sachsen fügt: Es ist unglaublich, dass die Verteidigung dieses Material nicht bekommen hat. Es ist ebenso unglaublich, dass die Staatsanwaltschaft – ihre Vertreterin erklärte vor Gericht, sie sei selbst erstaunt über das vermeintlich „neue“ Material – offenbar nicht selbst ermittelt hat, sondern das der Polizei überließ.

Es ist jedenfalls kein Wunder, dass die Verteidigung Königs entsetzt ist über den Versuch der Polizei, Spielberg zu mimen und von einer „Fälscherwerkstatt“ spricht. So erklärte Königs Anwältin Lea Voigt gegenüber der „taz„: „Das ist eine Frechheit. Hier wurde den Verteidigern entlastendes Material zielgerichtet vorenthalten und eine faire Verteidigung verhindert.“ Voigt und ihr Kollege Eisenberg hätten inzwischen Strafanzeige gegen einen Polizisten gestellt – wegen des Verdachts der Verfolgung Unschuldiger.

Keine wirkliche Freude bei König

Der skandalöse Prozess gegen Lothar König ist nur ein Beispiel von vielen aus Sachsen, bei denen Anti-Nazi-Aktivistinnen und Aktivisten kriminalisiert werden. Die wenigsten aber stehen so im Fokus der Öffentlichkeit wie der 59-jährige Jugendpfarrer. So kann sich König nicht wirklich über die Aussetzung seiner Verhandlung freuen. Zu viele andere Menschen hätten eben nicht die Unterstützung, die er über verschiedene Soli-Gruppen erfahren würde. Wütend zeigte er sich über die sächsischen Justizbehörden. „Polizisten, die angewiesen wurden, Dinge gegen mich zusammen zu tragen. Eine Staatsanwältin, die das dann zu einer Anklage zusammenkliert und ein Richter der das alles eins zu eins übernommen hat“, so König gegenüber Publikative.org.

Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht über den Fortlauf des Prozesses entscheidet. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit den „Sächsischen Verhältnissen“ wäre es allerdings keine Überraschung, wenn das Verfahren tatsächlich neu aufgerollt wird. Königs Verteidigung hat jedenfalls schon angekündigt, dessen Einstellung zu beantragen.

 

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